von Butterbrotbär » 21. Mai 2024, 21:01
Die Stimmung in der Taverne zum Trunkenen Troll war bedrückt.
Die Rietburg rief um Hilfe, da sie von riesigen Kriegern aus dem Lande Rundon belagert wurde.
Die Insel Werftheim rief um Hilfe, da sie von Silberzwergen bedroht wurde.
Und der Dunkle Magier Varkur heckte bestimmt bereits seinen nächsten gemeinen Plan aus. Doch die Delegation aus dem Lande Anirmil, die Varkur aufspüren wollte, hatte keine Anhaltspunkte zu dessen Aufenthaltsort. Varkurs Spion, den die Tavernengemeinschaft angekokelt und gefangen genommen hatte, war seit dem Großangriff auf die Taverne nirgendwo mehr zu sehen gewesen. Offenbar hatten Varkurs Kreaturen ihn befreit.
Was konnten die Tavernengäste nur tun? Es wäre selbst den legendären Helden von Andor schwer gefallen, sich gleichzeitig all diesen Problem zu stellen. Und leider schlugen sich die Helden und König Brandur aktuell irgendwo im Grauen Gebirge mit einem Nekromanten rum.
Die Tavernengäste waren auf sich alleine gestellt. Und sie waren der Lösung der Mysterien keinen Schritt näher gekommen.
An einem Ecktisch unterhielt sich der Butterbrotbär mit dem jungen Bewahrer Albus. Albus tauchte seine verbrannten Arme in Schalen kühlenden Wassers. Das hatte er davon, auf einem kräftigen Feuertakuri zu reiten. Phoenixpower hatte sein Bestes gegeben, seine Flammen zu unterdrücken, doch war ihm auf dem langen Flug von Baum der Lieder zurück zur Taverne hin und wieder ein Funken entgleist. Nun wärmte der Phoenix sich im knisternden Kamin und erholte sich von den Strapazen.
Der Butterbrotbär mampfte mechanisch. In der einen Pfote hielt er ein Butterbrot, das er von Dagain aus dem Lande Rundon erhalten hatte, in der anderen Pfote eine wohl mundende Kreation der magischen Waffeleisen des jungen Zauberers Nicopaos Runensteinen aus dem Lande Magix.
„Und – mampf – Melkart hat keine Ahnung – mampf – welche Pergamente Varkur entwendete?“
Bewahrer Albus schüttelte seinen Kopf. „Noch nicht. Die Schwarzen Archive verfügen über kein so schönes Verzeichnis wie die restlichen Räume. Und die wenigen Verzeichnisse, die es gibt, sind verschlüsselt, sodass sie nur langsam und unter großer Mühe gelesen werden können – und das auch nur vom Obersten Priester Melkart oder den hochrangigen Bewahrern Gända und Tion, die anderen dürfen sie nicht einmal anschauen.“
Albus verzog sein Gesicht, als er seine Arme abtastete. Den nächsten Flug auf Phoenixpowers Rücken würde er lieber in isolierender Kleidung wagen.
Er fuhrt fort: „Wir vermuten, dass Varkur willkürlich Pergamente aus verschiedensten Regalen einsteckte, um zu verschleiern, hinter welcher Schriftrolle er wirklich her war. Falls er überhaupt hinter einer Schriftrolle her war. Er könnte gut auch eine Steintafel geklaut haben – vielleicht sogar genau so eine wie die aus der Taverne.“
„Womit wir – mampf – wieder beim zweiten – mampf – Mysterium wären“, murmelte der Butterbrotbär mit voller Schnauze. „Was war das für eine Steintafel, die Varkur – mampf – aus der Taverne stehlen ließ? Gilda nannte sie bloß – mampf – ‚Kodex‘, ehe sie kollabierte.“
Bewahrer Albus drehte sich zu Breel um, einem jungen Burschen mit stets freudig glänzenden Augen, der von Gilda die Kunst des Gastwirtens erlernte. „Breel, hat Gilda dir je etwas von diesem Kodex erwähnt?“
„Könnte mich nicht daran erinnern“, gab Breel zurück. „Mir war, als hinge diese Steintafel bereits seit Ewigkeiten an dieser Wand. Mit etwas Fantasie konnte man in den Kritzeln darauf die Grenzen des südlichen Walds erkennen.“
„Also eine – mampf – Landkarte? Was ...“
Es klopfte an der Tür. Eine Geste der reinen Höflichkeit, denn die eingekrachte Tür bot keine wahre Grenze mehr zwischen der Außenwelt und dem Schankraum der Taverne.
„Nur herein in die gute Stube, wärmer wird’s nicht“, sprach der geschätzte Gast Galaphil.
Und herein in die gute Stube trat ein eindrücklicher Umzug faszinierender Gestalten.
Zuvorderst stapfte Seibri, die sprechende Steppenechse mit der Nummer 111777, die fröhlich proklamierte: „Wir haben ihn gefunden!“
Auf dem Rücken der Steppenechse ritten ein Gor und ein Skelett, die sich interessiert in der Taverne umblickten.
Und hinter ihnen folgten zwei wohlbekannte Trolle, die kaum durch die Pforte passten: Trollerei und der Trunkene Troll. Trollerei schleppte den Trunkenen Troll energisch am Arm über die Schwelle.
Der Butterbrotbär wollte schon ängstlich zurückweichen, da wies ihn der angesehene Tiefminen-Zwerg Dwain darauf hin, dass dieser gute Gor und dieses schlaue Skelett das Duo Lostinn und Kistrog wären, die bereits den Eingang nach Cavern heldenhaft verteidigt hätten. Von ihnen hatte die Tavernengemeinschaft nichts zu befürchten.
„Lostinn ist der Name?“, fragte der Bär, „Du hast nicht zufällig eine Schwester namens Theeccoo?“
Ehe der Gor antworten konnte, brummelte Trollerei mürrisch: „Dafür ist doch nun wahrlich nicht die Zeit. Na los, Hugo, sprich!“
Der Trunkene Troll brummelte bloß überrascht: „Huch! Was iss denn hier passiert? All die Tische kreuz und quer, und die Tür eingehaun … sieht aus, als wär ein Troll hier durchgwirbelt, aber ich wars nich!“
„Das wissen wir“, grummelte Trollerei, „Das waren Varkurs Horden. Die erlaubten sich einen Großangriff auf die Taverne. Das werden sie noch bereuen.“
„Varkur!“ Da leuchteten plötzlich die kleinen Äuglein des Trunkenen Troll auf. „Genau, wegen dem wollte ich mit euch sprechen! Ich habe Informationen, die euch seeehr interessieren könnten … hochbrisante, gar. Für eine kleine Belohnung wär ich breit, sie ssu teiln.“
Trollerei seufzte und sprach, an die übrigen Anwesenden gewandt: „Wir haben dem Trunkenbold klipp und klar gemacht, dass 30 Fässer von Erloths feinstem Goldmet schlicht nicht in unseren Möglichkeiten liegen. Da war er auf einmal bereit, für ein einziges Fass von Gildas Met sein Wissen herauszurücken. Und ich finde, jetzt wäre die passende Zeit dafür.“
Der junge Gastwirt Breel verließ den Schankraum, um ein Fass für den Trunkenen Troll fassen zu gehen.
Der Trunkene Troll polterte indes: „Wie de wills. Also, Varkur … naja … wie soll ich sagn … ich weiß, wo er iss! Der olle Kerl kampiert in meiner liebssen Schlafhöhle! Varkur hat wohl ein neus Versteckt gsucht nach seiner letssn Niederlag, und hat sich nun ganss frech bei mir eingrichtet un mich rausgworfen un heckt dort bestimmt irgendwelche gemeinen Pläne aus! Das gfällt eu doch sicher au nich. Wollt ihr ihn nich vielleicht vertreiben gehn?“
Däumchendrehend blinzelte der Trunkene Troll die Tavernengemeinschaft ganz niedlich an. Was bestimmt besser funktioniert hätte, wenn die Stimmung nicht so bedrückt wäre.
Die aufkommende Stille wurde unterbrochen vom kräuterkundigen Zauberer Kamuna aus dem fernen Hadria, der abwartend an einem Sternkrauttee schlürfte.
Immerhin kam diese Info beim Zauberer Qurunatobra, dem zweiten Sohn eines ersten Sohnes aus dem Lande Hadria, ganz gut an.
„Das sind großartige Neuigkeiten für unsere Freunde aus dem Lande Anirmil! Wollt ihr dem Trunkenen Troll zu seiner liebsten Schlafhöhle folgen und herausfinden, was Varkur da treibt?“, rief Qurunatobra mit Blick auf den großen Tisch, an dem der zaubermächtige Wildhüter Slatnar und seine Kumpanen aus dem Lande Anirmil Platz genommen hatten, darunter auch ein treuer Wolf und ein lebendiger Baum, der jeden Arbak um Längen überragte.
„Nur nachdem ich mein Met bekommn hab!“, grunzte der Trunkene Troll.
„Selbstverständlich“, sprach der zaubermächtige Wildhüter Slatnar. „Aber danach führst du uns direkt zu Varkur. Mit dem Antimagie-Schwert, das ich im Süden errungen habe, können wir ein Schutzschild zwischen uns und Varkurs Dunkle Magie bringen. Will sich jemand weiteres uns anschließen?“
Ehe darauf eine Antwort gegeben werden konnte, ertönte Breels helle Stimme aus dem Hinterzimmer. „Der Met muss sich kurz gedulden. Gilda ist erwacht!“
Das brachte Leben in den Butterbrotbären. Er hopste von seinem erhöhten Stuhl, hastete hurtig über den Tavernenboden, stolperte über einen heruntergefallenen Balken und kugelte ungelenk ins Hinterzimmer.
„Mir geht’s gut!“, ertönte seine Fiepsestimme. Dann, etwas trauriger: „Meiner Waffel weniger.“
Es gab jedoch wahrlich Wichtigeres im Augenblick. So wandte sich die kleine Gestalt an Gilda, die im Hinterzimmer auf einem Bett lag und den Neuankömmling aus müden Augen anblinzelte.
„Verzeih das freche Eindringen, Gilda, und das fehlende Nachfragen nach deiner angeschlagenen Verfassung“, sprach der Bär. „Aber dein Wissen könnte der Schlüssel für diese ganzen Rätsel sein, darum geht es nun besser rasch. Was meintest du, als du vom ‚Kodex‘ sprachst? Was ist diese Steintafel? Was könnte Varkur damit anstellen?“