von Wachsamer Waldläufer » 14. April 2020, 21:19
Erwartungen, Hoffnungen und Pläne (Kapitel 3)
Irada schaute sich um. Gähn. Offenbar war Sedwyn schon weg. Es gelang ihm nur selten, sie nicht aufzuwecken. Was solls. Heute war ein besonderer Tag. Der Tag des tiefsten Frostes, die längste Nacht des Jahres. Und die letzte. Kalt war es bestimmt. Entschlossen sprang Irada aus dem Bett und zog sich warme Sachen an. Auf eine kurze Eingebung hin nahm Irada ihren dünnen Einhänder, der mehr an ein zu groß geratenes Messer erinnerte als an ein echtes Schwert. Eine ungewöhnliche Waffe für einen Bewahrer. Die meisten kämpften mit Pfeil und Bogen, manche kämpften mit Schwertern, doch Iradas war einzigartig. Es war ein Geschenk der Schildzwerge gewesen. Oder eher ein Geschenk Krams. Irada hatte in den letzten Jahren viel zu tun gehabt. Ja, tatsächlich war diese Regel mehr und mehr in den Hintergrund gerückt. Niemand befand das Bleiben im Wachsamen Wald als Pflicht. Irada seufzte. Wieder war sie an die Krahder erinnert worden. Wie auch nicht. Sie waren allgegenwärtig.
Schließlich trat Irada vor die Tür. Irada hatte nun Wachdienst, und sie musste sich beeilen, wenn sie nicht mit leerem Bauch Wache schieben wollte. Also lief Irada die Treppen herab, und ihr schlug ein hitziges Gespräch entgegen. Bjorne auf der einen Seite, und Eske auf der anderen. Was die beiden wohl diskutierten? „Ja, aber sie hätte was sagen können!‟ „Glaub mir, Bjorne, ich kenne Askalda viel länger als du. Sie hätte etwas gesagt, wenn es wichtig gewesen wäre.‟ Offenbar wurde über die Seekriegerin disputiert. „Was ist los?‟, fragte Irada die gelangweilt blickende Gända. „Askalda ist alleine und ohne Vorwarnung zu den Schildzwergen aufgebrochen. In ihrem Brief stand etwas von einem Geschenk.‟, erklärte diese. „Und deswegen gibt's so einen Aufstand?‟
Irada ging zum Tisch und schnappte sich ein Brot. Sie riss es in die Hälfte, und packte ein Stück in ihren Proviantbeutel. Das andere aß sie direkt.
Irada trat hinaus. Sie schloss sanft die Tür hinter sich. Eisiger Frost lag überall, doch noch immer hatte es nicht geschneit. Draußen stand bereits Folar. Er redete mit Uriel, dem, der jetzt eigentlich der Stellvertretende oberste Priester war. „Skrale? Beim südlichem Brunnen? Und… sie bauen ernsthaft eine Hütte?‟ „Ja, Folar. Genau das habe ich gesehen. Vielleicht hätte Askalda doch Begleitung mitnehmen sollen.‟ Irada mischte sich in das Gespräch ein.„Was wollen die Skrale dort?‟ „Oh. Irada. Dann kann ich ja gehen.‟ Folar grinste bei diesen Worten. Er wandte sich ab und ging ins Haupthaus. „Keine Ahnung, Irada. Sie hatten anscheinend nicht vor, weiterzuziehen. Vielleicht eine Art Wachposten der Krahder?‟ „Also hast du sonst nichts genaues gesehen. Tja. Selbst Leanders Seherischen Fähigkeiten sind zumeist ungenau.‟ „Ich weiß. Ich sollte mir keine Hoffnung machen, das meine Seherei noch besser wird. Aber um diese Seekriegerin mache ich mir Sorgen.‟
Einige Zeit später sah Irada einen Wolf. Ein großer Wolf. War das etwa einer des Königsrudels? Vorsichtig kam Irada näher. Der Wolf wandte sich ab und lief davon. Irada folgte ihm, so schnell sie ihre Beine trugen. Der Wolf rannte, nach Westen, in Richtung Rietland. Irada rannte und rannte. Als sie an der Hängebrücke ankam, hatte sie seine Spur verloren.
Narebs Karren holperte den Pfad zur Taverne entlang. Sein Pferd war schon etwas alt, und deswegen ging die Reise nur mäßig voran. Vor den ersten Sonnenstrahlen war der Fischer aufgebrochen, um rechtzeitig noch an der Taverne anzukommen.Bisher war das schlimmste die Langeweile. Wobei Nareb bald da sein würde. Inzwischen war er schon am Markt angelangt. Also dort, wo für gewönlich der freie Markt stand. Normalerweise würde einem nichts auffallen, doch nun lagen verkohlte und Zerissene Zeltplanen überall verstreut. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, hier aufzuräumen. Wieso auch? Das wäre reine Ressourcenverschwendung. Hatten doch alle genug zu tun.
In einiger Entfernung sah Nareb die Taverne. Wie immer herrschte dort reges Treiben. Der einzige Ort in Andor, der unverändert war. Ja, eigentlich würde einem in der Taverne "Zum Trunkenen Troll" nicht auffallen, das vor knapp einem und einem halben Jahr die Krahder in Andor einmarschiert waren. Immer noch herrschte hier dieselbe freundliche Stimmung, und immernoch hörte man hier Gelächter, bei Met und Braten. Oder Fischen. Wie die von Nareb.
Gemächlich ruckelte der Wagen auf die Taverne zu.
Uhain ging schon elendig lange durch diesen Wald. Hier, in der Nähe des großen Flusses, war der Wald in dichten Nebel gehüllt. Jeglichem anderen Menschen wäre das vielleicht unheimlich vorgekommen, doch der Nebelmagier war unbeeindruckt. Wenn er wollte, wurde der Nebel für ihn unsichtbar,und Uhain konnte sich unbemerkt an die etwaigen Gefahren anschleichen. Dann verschwand er wieder im Nebel, und so nahm er dem Gegner einiges an Stärke. Während Uhain den Zauber wob, wurden seine Erinnerungen wieder aktiv.
nebel ist gefährlich. ich darf nicht verlieren. muss gewinnen. ich stärker als nebel. auch ohne leander… ich kann schaffen. nur… keine kraft. Was war das? Was war dieser…Körper? Ich muss hier raus. Wie komme ich hier raus? Bin ich… Ich bin Nebel.
Uhain keuchte. Das konnte nicht sein. Uhain… War wirklich nur eine gefühlslose Hülle für die Magie des Nebels. kämpfe.du kannst gewinnen. Entschlossen bäumte sich Uhains Magie in ihm auf. Sofort wurde der Zauber aktiviert. Düster lag der Wald vor ihm, in einen eisig grauen Schimmer gehüllt. In einiger Entfernung stampfte etwas Großes durch die Bäume. Der Magier ging gerade drauf zu. Er schlich, im Dunst verborgen, durch den Wald. Als er die Kreatur sah, die sich zwischen den Bäumen aufhielt, stockte ihm der Atem. Das Ding war hässlich. Es war auch groß, und es hatte einen grau geschuppten Körper. Es hatte senkrechte, dünne Pupillen, eine ellenlange Mähne und ein riesiges Geweih. Der massige Rumpf wurde von spindeldürren Beinen getragen. Seltsam gebückt schritt die Kreatur voran, als ob eine große Last auf ihren Schultern liegen würde. Plötzlich fühlte sich Uhain nicht mehr sicher. Überstürtzt rannte der Nebelmagier los. Von der Angst gepackt, trugen ihn seine Beine bis zu einem riesigen Baum.
Askalda hatte es nicht eilig. Sie ging gemächlich über die östlichen Rietlande. Vor einiger Zeit war sie an einem Bauerndorf vorbeigekommen. Dort war niemand gewesen. Entweder verschleppt, tot oder umgezogen. Es erinnerte die Seekriegerin schmerzlich an die Missetaten der Krahder. In Andor lebten entfernte Verwandte von Askalda. Großcousins und deren Familien, so in die Art. Askaldas Familie hatte es nicht leicht. Ihr Großvater war in Andor geboren worden, und er war mehr oder weniger nach Hadria umgezogen. Askaldas Vater hingegen, Keolden, war mit seiner Frau und ihr nach Werftheim gezogen. Irgendwie hatte Askalda keine echten Wurzeln, sie konnte weder Hadria, Werftheim noch Andor ihr Zuhause nennen. Einzig und allein die See war ihre Heimat. Askalda war die erste und einzige Seekriegerin bisher. Manche Menschen waren der Ansicht, dass Frauen eine bestimmte Position in er Gesellschaft hatten, so wie Könige, Soldaten oder Hofnarren. Diese Meinung vertrat Askalda nicht. Jede Frau hatte einen eigenen Platz, nicht alle denselben. Was war mit Königinnen, Soldatinnen oder Hofnärrinnen? Und waren Heldinnen, wie Chada oder Eara, nicht das perfekte Beispiel? Niemand bewertete die beiden als "Frau". Es waren Chada und Eara und Thorn und Kram, über die Legenden erzählt wurden, nicht Zwei Männer und zwei Frauen. Ach was. Askalda bildete sich viel zu viel ein. Um vollkommen unmögliche Sachen drehten sich ihre Gedanken meistens, oder um unerhebliche. Plötzlich nahm Askalda diese Mischung aus Grunzlauten, leisen Brüllern und Kläffern war,das, was ihr schlimmster Albtraum auf der Reise war.
Skrale.
Sie waren überall. Sie bauten etwas. Irgendetwas stimmte nicht, etwas fehlte. Ach ja. Die Rüstungen. Kein einziger Skral trug eine Rüstung. Auch keine Schwerter waren zu sehen, nur Hämmer, Nägel und Sägen. Kurz konnte Askalda einen Bick auf einige Skrale werfen, die… offenbar ihre Kinder stillten? Skralfrauen? Kinder? Und… keine Waffen?
Ein Skral drehte sich um. Er trug nur den gewöhnlichen Lendenschurz, der Rest von ihm war einem Skral fast unähnlich. Ohne Rüstung wirkte er… nackt. Der Skral fing an laut zu Grunzen, und offenbar sagte er etwas wichtiges, denn alle Blicke richteten sich auf ihn. Und dann… auf Askalda. Aus dem kleinen Holzbau trat eine gebeugte Gestalt. Der Skral trug einen dunklen Umhang, und er stützte sich auf einen Stab. Mit einer heiseren, uralten Stimme begann der Skral zu sprechen:
„Ich bin Trumm. Vielleicht hast du die ein oder andere Geschichte über die Befreiung der Rietburg gehört, dann kennst du mich. Ich bin eine Skralhexe, also so etwas wie die Stammesanführerin unseres Stammes. Ich habe von einem seltsamen Skral sprechen gelernt, der sich den Schattenskral nennt.‟ Askalda sah verwirrt aus.„Wieso… greift ihr mich nicht an?‟ „Unser Stamm hat sich entschieden, ohne Kämpfe gegen die Menschen oder Zwerge zu leben. Zu viele Verluste brachten diese Kriege, und es ist für alle besser. Wir haben unsere Waffen abgelegt, als Zeichen des Friedens. Nun wollen wir hier‟, die Hexe zeigte auf die Pfähle und Zelte,„unser Dorf bauen.‟ „Aber… esst ihr denn keine Menschen?‟ „Für gewöhnlich. Aber das ist eine unumgängliche Bedingung für Frieden, nicht wahr?‟ Die Skralhexe lachte krächzend. Askalda lächelte. „Nun, Trumm, ich werde den Bewahrern und Schildzwergen von eurem Vorhaben berichten. Vielen Dank für diese doch freudige Unterhaltung.‟ „Ja. Offenbar hab ich mir die Menschensprache gut genug gemerkt.‟, wieder lachte die Alte.„Ich versuche, einigen Kindern etwas von der Sprache beizubringen. Die jüngste Generation ist schon recht gut. Außerdem kennen sie kein Menschenfleisch.‟ „Ich habe noch eine Frage. Wie können wir euch von anderen Stämmen auseinanderhalten?‟
„Das ist doch einfach. Wir tragen keine Rüstung, vergessen?‟
Askalda stand vor dem Eingang zu Cavern. Sie hatte den südlichen Eingang gewählt, da sie sich nicht sicherwar, ob am nördlichem Eingang jemand anzutreffen war. Erwartungsvoll sah sie in Das Tor.